MoBiDic: Maßgeschneidert Erdgas umpumpen statt ausblasen - schont die Umwelt und vermeidet Gasverluste

von Emilia Haep und Dr. Ralf Borschinsky (ONTRAS)
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MoBiDic: Maßgeschneidert Erdgas umpumpen statt ausblasen - schont die Umwelt und vermeidet Gasverluste

In der Diskussion um die Einsparung von Treibhausgasemissionen wird deutlich, dass Methanemissionen, nach dem CO2-Ausstoß, den größten prozentualen Anteil an allen THG-Emissionen in Europa ausmachen. Die Methanemissionen kommen aus verschiedenen Wirtschaftssektoren, darunter auch die Erdgaswirtschaft. Daher spielt die Betrachtung der Emissionseinsparpotenziale des Erdgasnetzes zur Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels, eine wesentliche Rolle. 

Die ONTRAS Gastransport GmbH (ONTRAS) ist ein Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas mit Sitz in Leipzig. Mit rund 7.700 km Leitungslänge betreibt sie Deutschlands zweitgrößtes Fernleitungsnetz. Das Vermeiden von Methanemissionen durch Gasverluste bei geplanten Arbeiten an Erdgasleitungen ist schon seit vielen Jahren ein zentrales Anliegen der ONTRAS.

Bei Reparaturarbeiten am Erdgasnetz muss der betroffene Leitungsabschnitt zunächst vom Gas befreit werden. Dazu war früher das Ausblasen von Restgasmengen in die Atmosphäre eine gängige und anerkannte Methode. Diese brachte zwei entscheidende Nachteile mit sich. Es gelangten erhebliche Mengen Methan in die Atmosphäre und es entstanden entsprechend hohe Gasverluste und damit finanzielle Einbußen für den Gasnetzbetreiber. Deshalb suchte ONTRAS schon frühzeitig nach Alternativen, um das Ausblasen zu vermeiden. Stand eine zweite Leitung mit entsprechend verfügbarer Aufnahmekapazität zur Verfügung, griff ONTRAS auf Dienstleister zurück, um die zu entspannenden Gasmengen mit einem mobilen Verdichter in den zweiten Leitungsabschnitt umzupumpen.

Europaweit stehen jedoch nur begrenzt mobile Verdichter für diese Dienstleistung zur Verfügung. Häufig verfügen diese Verdichter nicht über die technischen Anforderungen des ONTRAS Netzes und die Verfügbarkeit zu geplanten Einsätzen - insbesondere bei kurzfristigen Terminen - gestaltete sich oftmals schwierig. Zudem war die jeweils notwendige Planung, Ausschreibung und Vergabe für die Dienstleister sehr aufwändig. Nach ausführlicher Bewertung aller Optionen entschied sich ONTRAS zunächst einen eigenen mobilen Verdichter einzusetzen, um mehr Flexibilität zu gewährleisten. Zur Senkung von Methanemissionen wurde der bereits vorhandene mobile Verdichter – NEUMAN & ESSER MoBIO 800 - eingesetzt.

Schnelle Lösung vorab: Umpumpen mit MoBIO 800

Der MoBIO 800 gehört bereits seit 2014 zum ONTRAS Fuhrpark und hatte ursprünglich einen anderen Anwendungszweck. Um die gesetzlich vorgeschriebene hohe Verfügbarkeit der 23 Biogaseinspeiseanlagen am ONTRAS Netz sicherzustellen, hatte ONTRAS gemeinsam mit NEUMAN & ESSER die MoBIO 800 - eine mobile Verdichteranlage mit zwei V-Verdichtern, angetrieben durch einen 315 kW Mittelmotor - konzipiert, um beim Ausfall einer Einspeisung schnell eine Ersatzlösung aufbauen zu können. Entsprechend universell, aber eben auch speziell für die Bedürfnisse dieser Biogasanlagen, wurde der MoBIO800 gebaut.

Der MoBIO 800 bot den großen Vorteil, dass er bereits als mobile Lösung zur Verfügung stand und direkt zum Umpumpen eingesetzt werden konnte. Da der MoBIO 800 ursprünglich für einen anderen Anwendungszweck konzipiert wurde, konnte er die gestiegenen Anforderungen beim Umpumpen nicht ganz erfüllen. Dazu gehörten die deutlich gestiegene Umpumpleistung und die Flexibilität einer dauerhaft einsetzbaren mobilen Lösung, ohne zusätzliche Inbetriebnahmeprüfung vor den Einsätzen. So ergab sich der Bedarf einer neuen, leistungsfähigeren, schnell auf- und abbaubaren mobilen Lösung, die auf das ONTRAS Leitungsnetz optimiert war.

Die Geburtsstunde des MoBiDic

Basierend auf den Erfahrungen mit dem MoBIO 800 definierten die ONTRAS Ingenieure im Jahr 2019 die Anforderungen für die Neuanlage: Die Maschine sollte autark laufen und auf nur einem normalgroßen Trailer montiert sein. Zudem sollte sie ohne zusätzlichen Aufwand auf jeder ebenen, tragfähigen Fläche aufstellbar sein. Der maximal mögliche Umpumpvolumenstrom sollte für einen Netzdruckbereich von 16 bar bis 40 bar erreicht werden und der Druck des zu entleerenden Leitungsabschnitts dabei so weit wie möglich abgesenkt werden.

Den Auftrag zum Engineering vergab ONTRAS aufgrund der bisher sehr guten Erfahrungen aus Vorprojekten und der verbindlichen Zusage, dass die maximal mögliche Liefermenge mit einem einzigen mobilen Umpumpverdichter erreicht werden könne an NEUMAN & ESSER. Während der Projektzeit von rund zwei Jahren für das Engineering und den tatsächlichen Bau der Anlage gab es eine intensive Zusammenarbeit zwischen NEUMAN & ESSER und ONTRAS. Bereits während der Projektphase konnte ONTRAS den jeweiligen Zwischenstand der Anlage mitverfolgen. Mittels der Software AutoCAD Plant 3D konnte die Anlage als 3D Modell visualisiert werden. ONTRAS bekam zudem die Möglichkeit mit einer VR-Brille virtuell den mobilen Umpumpverdichter zu begutachten. Die Wartungsfreundlichkeit und Erreichbarkeit einzelner Bauteile konnten somit live überprüft werden – noch vor Baubeginn. So entstand ein Planungswerk, das genau auf ONTRAS und dessen Netzbedingungen zugeschnitten war. Auf dieser Grundlage startete dann der Bau des Umpumpverdichters bei NEUMAN & ESSER.

Kundenspezifische Lösungen unter anspruchsvollen Bedingungen gehören schon immer zum Portfolio von NEUMAN & ESSER. Daher wurde mit Fokus auf die maximal mögliche Liefermenge der mobile Umpumpverdichter entwickelt, der mit dieser Leistung bisher nicht auf dem Markt zu finden war. Diese Lösung von NEUMAN & ESSER ist auf nur einem Trailer montiert und wird durch einen 770 kW Gasmotor angetrieben. Sämtliche Anlagenkomponenten, wie die Wasserkühlung, Klimatisierung, Steuerung, Regelung und das Zubehör für den Aufbau, sind auf dem Trailer verbaut. Eine innovative Konstruktion für die maximale Liefermenge auf minimalem Raum bei hinreichender Wartungsfreundlichkeit.

Um die zeitlichen Aufwände, Ausfallkosten und Emissionen der ONTRAS möglichst gering zu halten, ist eine besonders hohe Umpumpleistung unabdingbar. Durch die spezielle Verdichterkonstruktion, ausgerichtet auf die maximale Liefermenge, pumpt ein gasdichter Kompressor vom Typ 2TVL63 GTC (2 Stufen, trockenlaufend, 4-kurbelig, liegend) bis zu 68.000 Nm³/h Erdgas auf bis zu 45 bar(g) Enddruck in eine andere Gasleitung. Konstruiert wurde der 2TVL63 GTC mit einem besonders kurzen Triebwerk und einer speziellen um 45° gedrehten Zylinderausrichtung, um den gegebenen Raum des Trailers maximal ausnutzen zu können. Durch die gasdichte Ausführung des Triebwerks werden Gasemissionen selbst während des Umpumpvorgangs vermieden.

Um kurzfristige Einsätze zu ermöglichen und Genehmigungswartezeiten zu vermeiden, wurde die mobile Anlage nach den STVZO relevanten Standard-Außenabmessungen gebaut. Durch die spezielle Konstruktion hinsichtlich der Gewichtsverteilung ist eine nicht streckenbezogene Dauer-Ausnahmeregelung erzielt worden. Mittels verschiedener Hilfssysteme und einer kompletten Steuerschrankeinheit ermöglicht diese Anlage einen autarken Betrieb, da die Anlage über das jeweils am Standort in Ferngasleitungen vorhandene Erdgas betrieben wird. Die Aufbauzeit von der Anfahrt bis zur Inbetriebnahme der mobilen Verdichteranlage beträgt lediglich etwa zwei Stunden.

Nach erfolgreicher Fertigstellung und der Abnahme durch den TÜV erhielt der Trailer noch seinen optischen Feinschliff und seinen Namen „MoBiDic“, der als eindeutiger Sieger aus dem internen Ideenwettbewerb bei ONTRAS hervorging. Dann folgte ein dreiwöchiger Bewährungstest. In Milzau, im Netzbereich West, simulierte NEUMAN & ESSER, gemeinsam mit Streicher Anlagenbau, verschiedenen Fachfirmen sowie ONTRAS, typische Umpumpbedingungen und führte dabei mehrere Härtetests durch.

Besonders hervorzuheben ist, dass während der Testphase die zugesagte maximale Liefermenge von 68.000 Nm³/h deutlich übertroffen werden konnte. Der erste erfolgreiche Umpumpeinsatz erfolgte dann in Maukendorf.

Danach folgten noch weitere Einsätze in Leuna, Großenhain, Bobbau, Brusendorf und Lauchhammer. Jeder neue Einsatz brachte neue Erkenntnisse und führte zu weiteren technischen Optimierungen, die das Ingenieursteam jeweils bis zum nächsten Einsatz innerhalb kürzester Zeit verwirklichen konnte.

Die Erfolgsbilanz des ersten Jahres: 1.450.000 Nm³ Erdgas wurden umgepumpt, die sonst in die Atmosphäre gelangt wären. Mit der eingesparten Gasmenge können rund 650 Einfamilienhäuser ein Jahr lang versorgt werden. Insgesamt wurden so Treibhausgasemissionen von umgerechnet rund 28.000 Tonnen CO2-Äquivalent vermieden, das entspricht etwa 280 Millionen PKW-Kilometern.

Während des Jahreswechsels 2021/2022 erfolgte am NEUMAN & ESSER Standort Wurzen die erste Jahres- und Konservierungswartung des MoBiDic. Auch die Erwartungen in Bezug auf geringeren Verschleiß wurden in diesem Zeitraum erfüllt. Anfang 2022 machte sich der Verdichter wieder auf den Weg, um Treibhausgasemissionen bei Reparaturarbeiten zu vermeiden. Das ONTRAS Umpumpprogramm verspricht schon jetzt einen vollen Terminkalender für das Begleitteam und den MoBiDic.

Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen NEUMAN & ESSER und ONTRAS konnte ein wesentlicher Beitrag zum Umweltschutz geleistet werden. Die grünen Visionen beider Unternehmen verbinden sich in der Entschlossenheit, auch zukünftig die maximale Menge an Methanemissionen einzusparen.

Merkmale des mobilen Umpumpverdichters:

  • Fördermenge: 68.000 Nm3/h
  • Saugdruck: 2 - 45 bar (g)
  • Enddruck: 7 - 45 bar (g)
  • Gasmotor-Leistung: 770 kW
  • Gasdichtes Triebwerk
  • Gesamtgewicht: ca. 40 t
  • Abmessungen: 13,00 m x 2,55 m x 2,70 m